#3 CRYPTOART ODER DIE KUNST DES HOMOLUDENS



Virtuelle Katzen, NFT´s und der Große Basar von Istanbul: Die Hyper-Digitalisierung des zeitgenössischen Kunstmarkts zieht mich in ihren Bann.

Nicht das Spiel entsteht in der Kultur, sondern erst durch das Spielen entstehen Kulturen. Homo ludens, der spielende Mensch, entwickelt im Spiel und durch seine Rituale kulturelle Kompetenzen, wodurch kollektive Identitäten und Verhaltensweisen entstehen. Diese werden durch Glaubenssysteme und den Konsens über symbolische Merkmale und verbindliche Regeln verfestigt. Soweit die Kulturtheorie.

Im Onlinespiel CryptoKitties kann man virtuelle Kätzchen züchten, sammeln, kaufen und verkaufen. Jede Katze besitzt individuelle Eigenschaften und ist ein NFT, eine digitale Datei in der Blockchain. NFT steht für Non-Fungible Token – es handelt sich um nicht-ersetzbare, dezentral und beweglich aufgebaute, kryptografisch signierte Datenblöcke. Kurz: Kunst in der Blockchain. NFTs können nicht gehackt oder manipuliert werden, weil jeder Block einen sicheren Hash, ein Einzigartigkeitszertifikat, besitzt und für immer in der Blockchain-Datenbank leben wird. Diese wiederum hat keinen festen Speicherort und ist auf 100.000 verschiedenen Nodes (Computern) verteilt. Um bei CryptoKitties mit dem Traden starten zu können, muss man die Kryptowährung Ethereum besitzen und die entsprechende Menge ETH in die markteigene „Wallet“ transferieren.

Das Blockchain Village anonymen Cryptoanarchisten hat sich als Mainstreamphänomen auf die ganze Welt ausgebreitet. Und ist gerade dabei, den globalen Kunsthandel zu beeinflussen. Sämtliche digital items, also GIFs, Videos, JPEGs, Songs usw. können tokenisiert werden. Auch wenn diese digitalen Werke technisch reproduzierbar sind, bekommen sie einen Stempel, der sie zum Unikat und damit als „Ding“ verkaufbar macht. Ich weiß nicht, was Walter Benjamin über die Echtheit und die Aura eines NFT gesagt hätte.

Das digitale Trading aber hat für die Künstler:in durchaus Vorteile. Sie bestimmt beim Verkauf ihrer Arbeit einen bestimmten Prozentsatz, der bei jedem Weiterverkauf ihres Kunstwerks ein Leben lang zu ihr zurückkommt. Zudem fallen die sonst üblichen Aufschläge von Auktionshäusern oder Galerien weg. Die Tendenz zur totalen Verlagerung ins Digitale könnten neue Denkräume in der Dezentralisierung des Kapitals am Kunstmarkt eröffnen und einen Paradigmenwechsel in der Kunstszene bedeuten. Symbolische Werteverschiebungen machen das Digitale zum neuen Realen und fordern uns heraus, (kunst)historische Ereignisse und das „Bildende“ an der bildenden Kunst neu zu überdenken. Unsere Beziehungen zu den Dingen, zu ihren Oberflächen und zu den Räumen drumherum erleben gerade eine Entmaterialisierung, was zu einer Entmystifizierung von Kunst- und Galerieräumen führt.

Die bewährteste Kryptowährung für NFTs ist Ethereum, weshalb auch eine enge Beziehung zwischen der Ethereum-Community und der Kryptokunst-Community besteht. Millennials, zu deren Generation auch ich gehöre, bilden die größte Gruppe der Sammler:innen. Ich selbst bin vor Monaten in den Crypto-Art-Tunnel eingedrungen und komme jetzt nicht mehr raus. Der extreme Hype um Kryptokunst pluggt auch bei mir ein und löst FOMO-Gefühle aus. Ich zeige meiner Mutter das Bild „Everydays: The First 5000 Days“ des CryptoArt-Superstars Beeple und die kleinen Avatare der „CryptoPunks“. Ich erzähle ihr, dass diese Pixelkunst um mehrere Tausende oder Millionen Dollar verkauft wird. Sie springt daraufhin auf, geht in ihr Zimmer und kommt mit drei eingerahmten Bildern zurück. Sie hat sie vor Jahren im Grand Bazaar von Istanbul gekauft. Es sind Kopien von Gemälden bekannter Barockkünstler. Sie sieht mich mit euphorischem Blick an und sagt: „Du kannst sie verkaufen und viel Geld damit machen!“

Angetrieben von ihrer Energie habe ich mein erstes NFT-Kryptokunstwerk geschaffen – zu sehen hier auf dieser Seite. Die digitale Malerei ,,Cryptology“ ist als Exemplifikation zur Kryptokunstwelt enstanden und kann für wenige Ethereum-Coins erworben werden. Auf dem Bild ist ein QR-Code zu sehen, der direkt auf die Verkaufsplattform weiterleitet.


QAMAR Muslimisches Magazin für Kultur und Gesellschaft / Nr. 3 / Sommer 2021